Zeichnungen von Adrian Peters, Galerie PreView. Süd Karlsruhe, Dezember 2012
Wunderliches Wort: die Zeit
vertreiben!
Sie zu halten, wäre das
Problem.
Denn wen ängstigt’s nicht: wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich Sein in alledem?
(...) Berge ruhn,
von Sternen überprächtigt; -
aber auch in ihnen flimmert Zeit.
Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt
obdachlos die Unvergänglichkeit.
Rainer Maria Rilke
Der Titel der Ausstellung schlägt eine Auseinandersetzung mit der Zeit vor, obwohl sich der Künstler eines zweidimensionalen Mediums bedient, das nicht auf zeitlichen Bewegungsabläufen aufbaut wie etwa Musik oder Film. Auf gewisse Weise birgt jedoch jedes unbewegte Bild einen Schritt aus der natürlichen Zeit heraus. Wir betreten beim Besehen eine eigene Zeitlichkeit, nämlich das Verweilen des Betrachters im Bild. Was aber ist ein Flimmern der Zeit?
Der Begriff inspiriert sich an einem Gedicht Rainer Maria Rilkes (In meinem wilden Herzen, aus dem Nachlass), welches über die Flüchtigkeit des Seins und den Wunsch nach Unvergänglichkeit reflektiert. Man kann die Zeit nicht halten und nicht anhalten, und so findet Zeitlosigkeit nirgendwo ihren Aufenthalt – sie ist sozusagen „obdachlos“, sinniert Rilke. Und doch begehren wir sie, weil wir dem Tod und der Sterblichkeit entgehen wollen. Kunst steht seit jeher für den Versuch der Ewigkeit näher zu kommen, etwas zu schaffen, das seinen Schöpfer überdauert. Ist Kunst ein solcher atopischer Ort der Unvergänglichkeit? Kann Kunst Zeit halten – oder anhalten – ihr Flimmern sichtbar werden lassen?
Bei Adrian Peters Grafiken scheint es so zu sein. Seine dichten, sehr detailliert und genau gezeichneten Bildwelten weisen taktile Präsenz und strukturelle Bewegung auf. Wie hypnotisiert fühlt man sich hineingezogen in fiktive Mikrokosmen und fremdartige Topografien, die unlesbaren Stadtplänen und verschlüsselten Luftaufnahmen ähneln. Die reliefartigen, zufällig wirkenden Streuungen, Brüche und Aussparungen schwingen zwischen Abstraktion und figurativer Andeutung – gleichermaßen inspiriert von Industrie wie von Natur. Der streng schwarzweiß gehaltene Bildaufbau ruft eine archaische, zugleich futuristische Wirkung hervor, die verzaubert und gleichzeitig beunruhigt.
Wir wissen nicht, wo wir uns befinden, oder ob wir uns befinden, ganz so als würde uns ein Blick in eine andere Dimension gestattet. Oder ist es eine Sicht auf das Wesen der Dinge? Diese Welt, von der wir nur einen Ausschnitt sehen, scheint ein Überlagerungsfeld nicht greifbarer Energieströme und Strukturen zu sein, die in ihrer Bewegung angehalten und verdichtet trotzdem weiterflimmern. Wir stehen vor einer Art Speicher von geballter Energie, die nicht fließt – und somit eine Form von angehaltener Zeit ist. Die Grenzen von Erinnerung, Realität und Traum, Vergangenheit und Zukunft verwischen in dieser Welt.
Und genau hier setzt die Ausstellung an. Bei einem Flimmern der Zeit, das einer dimensionalen Verdichtung oder Auflösung der natürlich wahrgenommenen Zeitlichkeit entspricht. Peters hat den Begriff Rilkes appropriiert, der das Flimmern der Zeit als zeitliche Relativität und Unhaltbarkeit verwendet.
Es gibt noch Vieles mehr zu sagen über die rätselhaften Bildwelten von Adrian Peters. Aber noch besser ist es, das Unsagbare sprechen zu lassen.
Katalogtext, Christine Reeh, Dezember 2012